Die UNAIDS hat im Jahr 2014 einen wahrhaft spektakulären Plan
veröffentlicht, der nichts weniger vorsieht, als bis zum Jahr 2030 die Aids-Epidemie so gut wie zu beenden.
Wie kommt die UNAIDS zu diesem verwegenen Plan und welche Idee steckt dahinter?
Wir wissen schon seit einigen Jahren, dass die antiretrovirale Kombinationstherapie es schafft, dass die Virusvermehrung im Körper eines HIV-Positiven und damit auch der Infektionsfortgang so gut wie zum Erliegen kommen. Bei rechtzeitiger und konsequenter Einnahme bleibt die Gesundheit des HIV+ erhalten und weil die Medikamente inzwischen sehr nebenwirkungsarm sind, hat der Patient viel Gewinn an Lebensperspektive zu erwarten und nur wenig Verlust an Lebensqualität zu befürchten.
Dieser individuelle Gewinn für den HIV-Positiven wird ergänzt durch den Verlust an Infektiösität, der ebenfalls einhergeht mit der Unterdrückung der Virusvermehrung: ein Mensch, der mindestens 6 Monate eine Virusmenge im Blut hat, die unter der Nachweisgrenze liegt, ist so gut wie nicht mehr ansteckend und gibt das HI-Virus auch sexuell nicht mehr weiter, selbst wenn auf das Kondom verzichtet wird (die aktuellen Daten der PARTNER-Studie ergaben bei 888 serodifferenten Paaren – davon 38 % schwule Paare – nach einer durchschnittlichen Beobachtungsdauer von 1,6 Jahren mit insgesamt 58213 sexuellen Kontakten ohne Kondomgebrauch noch keine einzige HIV-Infektion).
Und genau darauf zielt der UNAIDS-Plan ab: das individuelle Interesse des HIV-Positiven seine Gesundheit zu erhalten und das Public Health-Interesse, die Epidemie zu beenden münden in die identische Überlegung – nämlich die medikamentöse Behandlung der Menschen mit HIV in den Fokus zu nehmen und sie möglichst vielen Menschen, die mit HIV leben, zu Gute kommen zu lassen.
Die UNAIDS stellt klar: „It will be impossible to end the epidemic without bringing HIV treatment to all who need it“
(UNAIDS/JC2684, Oktober 2014).
Als Kern des UNAIDS-Plans wurde als Zielsetzung ausgegeben
dass 90 % aller HIV-Infizierten getestet und damit diagnostiziert sein sollen, denn eine Behandlung setzt natürlich eine Diagnosestellung voraus
wovon mindestens 90 % in Behandlung sein sollen
wovon wiederum mindestens 90 % das Ziel der unterdrückten Viruslast tatsächlich erreichen sollen
Damit wäre erreicht, dass rund drei Viertel der HIV-Positiven weltweit nicht nur ihre Gesundheit erhalten, sondern auch ihre Infektiösität so gut wie verlieren würden.
Für das Jahr 2030 wurde als Zielsetzung sogar ausgegeben, dass 95 % aller HIV-Infizierten getestet und damit diagnostiziert sein sollen, wovon mindestens 95 % in Behandlung sein sollen und davon wiederum sollen mindestens 95 % das Ziel der unterdrückten Viruslast tatsächlich dauerhaft erreichen, damit 85 % der HIV-Positiven weltweit dauerhaft gesund bleiben und ihre Infektiösität so gut wie verlieren und den Virus damit nicht mehr an Andere in welcher Situation auch immer weitergeben können.
Kern der Idee ist also, dass der Anteil der Menschen mit HIV, die eine Infektion überhaupt noch weitergeben können, so gering wie möglich wird. Und der Plan lautet: Wenn es gelingt, dass nur noch ein kleiner Teil der Menschen, die mit HIV leben, überhaupt noch infektiös ist, dann müsste es bei Beibehaltung und sogar Ausbau einer konsequenten Präventionsarbeit möglich sein, die Epidemie zu beenden.
Beenden heißt aus Sicht der UNAIDS ein Absenken der Neuinfektionen auf 500 000 im Jahr 2020 und auf 200 000 im Jahr 2030 und die Idee ist einleuchtend: Wenn es gelingt, durch Einsatz der Antiretroviralen Therapie die Neuinfektionsrate so deutlich abzusenken, dann wird die Dynamik der Epidemie gebrochen und auch die Morbidität und Mortalität geht zwingend logisch deutlich zurück und die HIV-Epidemie hört auf, eine globale Bedrohung zu sein.
Dieser Plan ist natürlich sehr einleuchtend, aber zugleich nicht wirklich einfach umzusetzen. Wie ambitioniert diese Ziele sind, erkennt man erst so richtig, wenn man analysiert, wie gut die 90 – 90 – 90 – Ziele weltweit realisiert sind.
Für 2014 ging man von insgesamt 36,9 Millionen Menschen aus, die weltweit mit dem Virus lebten. Wenn man also die 90 – 90 – 90 – Ziele schon verwirklicht gehabt hätte, dann wären davon bereits 33,2 Millionen diagnostiziert und 29,5 Millionen in antiretroviraler Therapie gewesen und 26,9 Millionen hätten bereits eine nicht mehr nachweisbare Viruslast und damit den vollen Therapieerfolg erreicht.
Die Realität sieht leider anders aus: nur gut die Hälfte war als HIV-positiv diagnostiziert und weniger als ein Drittel hatte das Ziel „Viruslast unter der Nachweisgrenze“ tatsächlich erreicht.
Es ist daher sinnvoll, die Frage umzuformulieren zu: gibt es denn überhaupt Länder, die dem Ziel der UNAIDS heute schon nahe kommen?
Diese Frage scheint nun nach neuesten Studienergebnissen beantwortet zu sein: Studienergebnisse aus Schweden zeigen, dass Schweden das erste Land ist, das die 90 – 90 – 90 – Zielsetzung bereits heute erfüllt.
In Schweden wird davon ausgegangen, dass 90 % der Menschen, die sich mit HIV angesteckt haben auch als HIV-positiv diagnostiziert wurden, davon sind 92 % in antiretroviraler Behandlung und 95 % der antiretroviral Behandelten hat eine nicht nachweisbare Virusmenge im Blut.
Diese Nachrichten sind äußerst ermutigend, da sie bedeuten, dass es auch in Deutschland möglich sein müsste, die Ziele der WHO zu erreichen. Derzeit sind in Deutschland lediglich ca. 84 % der HIV-Infizierten als HIV-positiv diagnostiziert, 82 % der als HIV-positiv diagnostizierten Menschen mit HIV erhalten die antiretrovirale Therapie und ca. 92 % der antiretroviral Behandelten hat eine nicht nachweisbare Virusmenge im Blut. Insgesamt liegen damit in Deutschland die ersten beiden Werte deutlich unter der Zielmarke von 90 % und alle Werte liegen deutlich unter den Werten, die aus Schweden berichtet werden. Lediglich 64 % der Menschen mit HIV in Deutschland hat eine nicht nachweisbare Virusmenge im Blut und hat damit den Infektionsfortgang und seine Infektiösität so gut wie gestoppt.
Das ist zwar im internationalen Vergleich sehr gut, aber das Beispiel Schweden zeigt, dass es deutliche Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
Wir brauchen in Deutschland weiterhin Aufklärungs- und Kondom- und Testkampagnen für alle, weil jeder in erster Linie für sich und seine Gesundheit selbst verantwortlich zu sein und für seinen Schutz eigenverantwortlich zu sorgen hat. Wir brauchen darüber hinaus aber eine wesentlich verbesserte „Testkultur“ mit kostenfreien spezifischen Testangeboten für Menschen mit häufigem Risikoverhalten. Der HIV-Test muss für Menschen mit Risikoverhalten so selbstverständlich werden wie das Blutdruckmessen für Menschen mit Risiko für Bluthochdruck. Nur so erreichen wir höhere Diagnoseraten.
Wir brauchen klare Botschaften für ein menschliches Miteinander und gegen Stigma und Diskriminierung. Insbesondere in der medizinischen Versorgung darf diskriminierendes Verhalten keinen Platz haben. Nur so erreichen wir eine dauerhafte Anbindung der Menschen mit HIV an die medizinische Versorgung und damit letztlich eine Grundvoraussetzung für den medizinischen Behandlungserfolg.
Wir brauchen weiterhin ein Netz HIV-spezifischer medizinischer und psychosozialer Versorgungseinrichtungen mit großer Erfahrung in der Behandlung und Unterstützung von HIV-Patienten, um die Qualität der Behandlung zu maximieren und damit die Anzahl erfolgreich therapierter HIV-Patienten mit einer nicht mehr nachweisbaren Virusmenge im Blut möglichst groß werden zu lassen. Die HIV-Diagnose hat immer noch das Potential, ein Leben völlig entgleisen zu lassen und dies kann durch gute medizinische und psychosoziale Unterstützung häufig verhindert werden.
Bayern hat ein gutes Netz medizinischer und psychosozialer Versorgungseinrichtungen und es wäre sicher von Vorteil. diese noch besser zu vernetzen, um multiprofessionelle Versorgungszentren entstehen zu lassen. Menschen sollten die Sicherheit haben, dass sie nach einem positiven Testergebnis bei Bedarf in einem Versorgungsnetz aufgefangen werden, so dass der Gedanke an eine Zukunft als HIV-positiver Mensch an Schrecken verliert und nicht mehr so häufig den Gang zum HIV-Test verhindert.
Wir sind prinzipiell in der Lage, die HIV-Epidemie in wenigen Jahren zu beenden, aber die Anstrengungen müssen erhöht werden und die finanziellen Mittel, die eingesetzt werden, müssen ebenfalls erhöht werden. Jeder Euro, der heute eingespart wird, wird ein vielfaches an Kosten in der Zukunft auslösen!